Freitag, 28. November 2008

Kapitel I: 1.4 Software-Morast


Als absoluter Weichmacher im knallharten Marketingkonzept erwies sich die Software. Mit der Integration von Betriebssystemen und Anwenderprogrammen wollte IBM die Grenzpfähle in einem bislang nur zaghaft betretenen Neuland setzen. Doch das Pionierproblem war zeitlich nicht proframmierbar. Es kam zu Verzögerungen. Mitunter steckten die NPL-Ranger so tief im Software-Morast, dass fremde Hilfe vonnöten war. Die Kosten stiegen um den Faktor Fünf. Der Sprung in die dritte Generation wurde teuer erkauft: 5 Milliarden Dollar. Dem massiven Einsatz von Geld und Gehirn, Strategie und Struktur, Risiko und Routine hatten die Mitbewerber nicht mehr entgegenzusetzen als einen hauchdünnen technologischen Vorsprung. RCA (Radio Corporation of America) mit der spektakulären SPECTRA 70 oder CDC (Control Data Corporation) mit CDC 3000 und 6000 führten dem Anwender wesentlich leistungsfähigere Systeme vor. Die 70-15 von RCA, die im Leistungsfaktor um das Fünffache besser war als die IBM /360-20, wurde nach einer rauschenden Premier 15mal verkauft. Die /360-20 dreizehntausendmal.
Graik: Detlev Bertram

Donnerstag, 27. November 2008

Kapitel I: 1.3 Die Ungleichung

Mit dieser Geheimformel ging die IBM 1961 ans Rechenwerk. Dass die Rechnung schließlich nicht ganz so aufging, wie sich dies der größe Computerproduzent der Welt vorgestellt hatte, lag zum Teil an der Zahl der Unbekannten, zum Teil aber auch an dem gerütelt Maß an Selbstüberschätzung, dem der Gigant unterlag.
Bevor der sich selbst gerne als "Probelmlöser" bezeichnende Hollerith-Konzern zum entscheidenden Schlag gegen die technologisch zumeist besser gewappnete Konkurrenz ausholte, galt es zunächst interne Mitbewerbssituationen aufzuheben. So gab es zum Beispiel eine handfeste Rivalität zwischen der General Products Division (GPD) in Endicott, New Jersey, und der Data Systems Division in Poughkeeprie, New York.
Während sich die erste Gruppe mit der Entwicklung kommerzieller Datenverarbeitungsanlagen auseinandersetzte, konstruierte Poughkeepsie technisch-wissenschaftliche Rechner. Jeder dieser Divisions versuchte, mit ihren Produkten in den Marktbereich des anderen vorzudringen. Diesem Zerreibungsprozess, der zu etlichen Produktsplittern führte, wurde durch T. Vincent Learson, dem späteren Präsidenten der Gesellschaft, durch SPREAD ein Énde gesetzt.
SPREAD (System Programming, Research, Engineering and Development) stand für die Spannweiter (engl. spread), unter der die New Product Line (NPL) gefunden werden sollte.
Das Basisproblem dieses Sonderausschusses (IBM-intern: Task-Force) wurde zuerst gelöst. Zwei Jahre nach der Vorstellung voll integrierter Schaltkreise durch Texas Instruments und Fairchild entschied sich der NPL-Stab für die technologisch zweitrangige, aber risikoärmste Lösung: Hybrid Circuits. Die Entscheidung für diese Halbleitertechnologie beinhaltete zwar ein geringes Wettbewerbsrisiko (das nicht eintraf), sie wurde aber in Hinsicht darauf getroffen, dass IBM die Komponentenfertigung in eigene Regie übernehmen und deshalb auf einigermaßen abgesicherte Entwicklungen zurückgreifen wollte.
Um die Bruchstelle zur zweiten Generation deutlich zu markieren, gingen die Systemstrategen n ihrer Familienplanung so weit, dass sie die eigene Potenz überschätzten. Allein aus den drei Jahre später angekündigten sechs Sprösslingen wurden nur vier. Und statt der zwei zuviel angekündigten kamen andere.
Graik: Detlev Bertram

Mittwoch, 26. November 2008

Kapitel I: 1.2 Die Verkündung

Was kam, war eine neue Computergeneration. IBM verkündete das System /360. Die letzten undeutbaren Inhalte der Windrose klärten sich - stilgerecht angetönt durch das etwas geschrumpfte Radioorchester des Hessischen Rundfunks - auf: Hinter der heute bis zur Unverständlichkeit verkürzten Bezeichnung Schrägstrich 360 verbarg sich der allumfassende Anspruch der IBM, über alle 360 Längengrade hinweg mit einer neuen Systemgeneration Tausende von EDV-Benutzern glücklich zu machen. Das "aufwindige" Announcement, das gleichzeitig auf allen IBM-Basen rund um den Erball abrollte, verdeckte noch die neue Philosophie, die von nun an das weltweite Wechselspiel zwischen Markt und Technologie bestimmen sollte.
Zwar war zunächst mehr Wind als Rose. Doch mit dem Wirbel um die neue Serie konnte IBM vorerst all die Schwierigkeiten hinwegblasen, die durch die Schöpfung der dritten Generation dem Computergiganten erwuchsen und seinen Kreislauf wiederholt angriffen. So wurde von der Geburt der Idee im Jahre 1961 bis hin zur Anküdigung der Systemfamilie die Struktur des Weltkonzerns allein dreimal umgekrempelt.
Der Anspruch, mit dem IBM an die Realisation der dritten Generation heranging, war denn auch gewaltig. Dabei wollte der konditionsstarke Computerhersteller sich keineswegs durch Spitzentechnologien hervortun, sondern sich vielmehr mit einem kompakten Allround-Konzept seine Herrschaft über den Markt festigen.
Vier Grundpfeiler stützten das Schrägstrich-Konzept:


  • Zum ersten Mal in der Geschichte der Datenverarbeitung sollten integrierte Schaltkreise im großen Umfang bei der Computerherstellung verwendet werden.

  • Zum ersten Mal sollte eine in sich geschlossene Systemfamilie dem Anwender präsentiert werden. Gleichzeitig wollte IBM damit ihre Typenvielfalt beseitigen.

  • Zum ersten Mal sollte ein Computersystem kreiert werden, das sowohl die kommerzielle als auch die technisch-wissenschaftliche Anwendungsseite abdeckt.

  • Zum ersten Mal sollte durch die Schrägstrich-Generation die heute klassische Trennung zwischen Hardware und Software vollzogen werden.

Foto links oben: Auszug von 1984 aus den "IBM Nachrichten", einer renommoerten Publikation, die in den neunziger Jahren den Sparaktionen der Finanzchefs zum Opfer fiel

Dienstag, 25. November 2008

I. Wie man durch Marktmacht so manche Mark macht

1.1 Der Sprung in die dritte Generation
Die Botschaft kam nach Büroschluss. Zwischen Bankauszügen und Reklamepost tat sich Peter L. (27) eine Windrose auf. Der ansonsten als clever und smart eingeschätzte Vertriebsbeauftragte der IBM Frankfurt war perplex: Die Postkarte enthielt außer seiner Adresse und dem Symbol keine weitere Message. Der IBM-Nachwuchsmann verdrängte nach einigen Grübeleien diese unsinnige Nachricht.
Am nächctsne Morgen kam die Erhenntnis. In der Blumenallee des Frankfurter Palmengartens offenbarte sich ihm der Sinn der geheimnisvollen Windrose. Zwischen den gerade erblühten Osterglocken und Tulpen des Frühlings 1964 ragten strahlend weiße Papierwimpel hervor, alle ebenfalls mit dem mysteriösem Zeichen bedruckt.
Das Zeichen war Signal. An diesem Aprilmorgen sollte sich die Computerwelt gründlich verändern. Dochdavon ahnten Peter L. und seine zweihundert in feierlichem Konfirmandenblau versammelten Kollegen zunächst noch nichts. Das einzige, was ihnen klar war: Den Tuscheleien und Flüsterparolen der vergangenen Monate sollte durch die Ankündigung eines neuen Computersystems ein Ende gesetzt werden.

Montag, 24. November 2008

VORWORT 1978


Zitat: »Die Art der Beleuchtung einer Sache ändert nichts an ihrem Wesen.«
Stanislaw Lec, polnischer Aphoristiker

Zu keinem Zeitpunkt in der kurzen Geschichte der Datenverarbeitung entschied allein der technische Vorsprung einzelner Computer-Produzenten über die Herrschaft am DV-Markt. Vielmehr war es der gezielte Einsatz von Dollar-Power, die strategische Überlegenheit eines meisterhaft und minutiös kalkulierenden Managements und die kostspielige sowie ausgefuchste Mitarbeitermotivation, die die absolute Dominanz einer Unternehmung am Markt entschied. Ihr Name: IBM. Ihr ebenso einfaches wie geniales Marketing-Konzept setzte die entscheidenden Akzente. Die pointierte Umsetzung des allgemein zugänglichen Wissens um die technischen Komponenten in eine clevere Vertriebsstrategie war das Erfolgsrezept. Gegenkonzepte fehlten und fehlen oder sind lediglich in Umrissen erkannbar.
So standen die Konkurrenten der IBM immer im Zugzwang, dem sie durch technologischen Vorsprung entgehen wollten und ihre Vertriebsorganisation vernachlässigten. Daraus ergab sich ein verhängnisvolles Wechselspiel von Innovation und Imitation.
Während die Mitbewerber imme am Rand der technologischen Schallmauer und damit am kommerziellen Abgraung agierten, reagierte IBM mit einer permanenten Evolution ihrer Marketingmacht.
Eine große Chance, in den profitablen Computermarkt einzusteigen und zu ihren Gunsten zu verändern, verpassten die Widersache der IBM in den frühen sechziger Jahren, als der Generationswechsel der Computer mit der Entwicklung von hochwertigen Halbleitern in der Luft lag. In dieser historischen Phase wurden die Weichen in jene Richtung gestellt, in die der Markt noch heute treibt. Mit einem grandiosen Coup okkupierte damals die IBM die Schaltzentrale in der neuen Generation. Diese markante Bruchstelle, in der für einen Augenblick der Markt völlig offen war, versuchen wir im ersten Teil des Buches wieder aufzudecken.
Hier wurde deutlich wie ein Koloss von der Größe der IBM leichtfüßig wie eine Primadonna auf die Zukunftsmusik reagierte, die die Halbleiter-Hersteller inonierten. In kurzer Zeit riss der Konzern die Regie an sich. Seitdem tanzt der Markt zu den Takten und Tempi, die die IBM vorlegt.
Der Respekt vor dieser Leistung war es, der uns dazu bewog, post festum die Entwicklung der IBM zu rekapitulieren, vor der in der jüngsten Vergangenheit so viele Mitbewerber kapitulierten.
Die IBM ist eine Vertriebsgesellschaft. Ihre Produkte sind Mittel zum Zweck. Der Zweck ist Geld. Und Geld heiligt die Mittel.
Mitbewerber der IBM fungieren oft als Alibi. Die IBM regelt den Markt. Sie setzt die Standards. Nach Belieben. Aber immer zum richtigen Zeitpunkt. Dann, wenn sie bestimmt, dass der Markt reif ist.
Die Mitbewerber erschließen der IBM ständig neue Märkte. Ein aktuelles Beispiel: Alle Welt redet von "Distributed Processing". IBM hielt sich zurück. Über das, was die Konkurrenten vorlaut ausplauderten, dachte sie nach. Und als keiner mehr mit IBM rechnete, waren die Produkte plötzlich da. Die Entscheidung liegt nun bei den Kunden. Diese aber hat die IBM im Griff. Das Buch "Der Markt sind wir" ist der der gescheiterte Versuch, die IBM in Griff zu bekommen. Vielleicht ist es uns gelungen, die IBM ein wenig griffiger zu machen. Denn auch die IBM arbeitet nach einem Schema, das sich mit seinen Grunsätzen nie geändert hat. Die IBM ist ein permamenter Denkprozess. Sie bietet eine gigantische Angriffsfläche. Aber sie ist nicht greifbar.
Uns hat es sehr viel Spaß gemacht, dieses Buch zu schreiben. Wir wünschen Ihnen ebenso viel Spaß beim Lesen.
Stuttgart, Dezember 1978
Hermann K. Reiboldt/Raimund Vollmer

Der Markt sind wir - Die IBM und ihre Mitbewerber

1978
Von links: Raimund Vollmer und Hermann K. Reiboldt, der sich offensichtlich an der Schreibmaschine einen Finger wundgeschrieben hatte.

Weihnachten 1978: Im Zeppelin-Hotel, Stuttgart, feiert die kleine Redaktion des Computer Magazins den Jahresausklang. Plötzlich liegt ein Büchlein auf dem Tisch. Hermann K. Reiboldt, damals Geschäftsführer des Verlages Computer, Buch und Hobby in Stuttgart, übergibt seinem Chefredakteur das gemeinsam verfasste Werk: "Der Markt sind wir - die IBM und ihre Mitbewerber."
Das ist nun 30 Jahre her: Grund genug, die Inhalte dieses Buches, von dem innerhalb kürzester Zeit rund 5.000 Stück verkauft waren, Zug um Zug ins Netz zu stellen. Dies ist heute der Anfang.